Samstag, 18. März 2023
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Turnen und beten

Turnen und beten
Senheimer Straße 35/37: Erst Turnhalle, dann Lazarett und heute katholische Kirche (Foto: Bodo Kubrak/Wikipedia)

Frohnau – Die Schülerinnen vor 110 Jahren wären sicherlich nie auf den Gedanken gekommen, dass die frisch errichtete Turnhalle, in der sie ihre Leibesübungen verrichteten, einmal ein Kirchensaal werden würde. Der Bau von 1913 war ursprünglich als Erweiterung für die Höhere Mädchenschule Frohnau gedacht. Dafür wurde der Architekt Paul Poser beauftragt, der für die gerade im Entstehen begriffene Gartenstadt schon einige Villen entworfen hatte.

Als nach der Jahrhundertwende Historismus und Jugendstil in der Architektur ihrem Ende entgegen gingen, entwickelte sich neben dem heute legendären Bauhausstil, der Sachlichkeit und Funktionalität zu seinem Credo erklärte, eine Art Gegenbewegung namens Heimatschutzarchitektur. Diese Bauweise machte es sich zur Aufgabe, den lokalen Stil und die traditionellen Werkstoffe der Region zu berücksichtigen.

Von der Turnhalle zum Lazarett

Der Kunsthistoriker Alfred Lichtwark brachte es 1899 folgendermaßen auf den Punkt: „Die architektonische Bildung des Deutschen muss am Fischer- und Schifferhaus, am Bauern- und Bürgerhaus seiner nächsten Heimat gewonnen werden.“ Das Werk von Paul Poser bietet gerade in Frohnau ein anschauliches Beispiel für diesen Baustil.

Die Halle diente ihrem ursprünglichen Zweck allerdings nur kurze Zeit, da sie durch die schrecklichen Folgen des Ersten Weltkriegs mit seinen zahllosen Verwundeten bald zum Lazarett umfunktioniert wurde.

Erste Heilige Messe am 31. Januar 1937

Ab 1921 hielt dort die noch heimatlose evangelische Gemeinde ihre Gottesdienste ab. Die „Notkirche“ nannte sich bereits Johanneskirche, bevor das gleichnamige Gotteshaus am Zeltinger Platz schließlich 1936 fertig wurde. Danach erwarb die kleinere katholische Gemeinde das Haus. Ein „Katholiken-Ausschuss“ engagierter Bürger aus der Umgebung hatte „ihr Lieblingsthema, den Aufbau einer katholischen Pfarrgemeinde und den Bau einer katholischen Kirche in Berlin Frohnau“ erfolgreich in die Tat umgesetzt. Die erste Heilige Messe wurde am 31. Januar 1937 zelebriert, aber es dauerte noch einige Jahre bis zur Kirchweihung, die im Oktober 1940 durch den Berliner Bischof Konrad Graf Preysing erfolgte.

Ehemals ließen drei große Fenster viel Tageslicht in die Halle. Passend zur neuen Bestimmung des Hauses wurden sie jedoch 1952 durch sechs Buntglasfenster ersetzt, die Stationen aus dem Leben der Benediktinerin Hildegard von Bingen zeigen. Die Namenspatronin der Kirche lebte von 1098 bis 1179 und wurde vor elf Jahren vom kürzlich verstorbenen Papst Benedikt XVI. heilig gesprochen. Bis heute erfreut sich die bemerkenswerte Frau großer Popularität weit über die katholische Kirche hinaus – nicht zuletzt wegen ihrer Beschäftigung mit Kräuterheilkunde.

Frei stehender Glockenturm

Weil seinerzeit für die Turnhalle natürlich kein Turm geplant war, entschied sich die Katholische Gemeinde St. Hildegard später für einen frei stehenden Glockenturm, der die Kirche nicht überragt. Inzwischen steht das Gotteshaus, sowie auch weitere Bauten von Paul Poser, in Frohnau unter Denkmalschutz. Nach dem Architekten, der das Erscheinungsbild der Gartenstadt so entscheidend mitgeprägt hat, wurde 2008 ein Platz bei der von ihm entworfenen Siedlung Barbarossahöhe benannt.

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