Freitag, 29. September 2023
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Zwei Glocken mit klangvollem Namen

Zwei Glocken mit klangvollem Namen
Matthias-Claudius-Kirche in der Schulzendorfer Straße in Heiligensee

Wer an der Schulzendorfer Straße 19 vorbeischlendert, vom gleichnamigen S-Bahnhof kommend, würde die schlichte Matthias-Claudius-Kirche nicht mit dem Rathaus Schöneberg in Verbindung bringen. Doch beide Bauwerke haben zumindest zwei Besonderheiten gemein: Sie beherbergen jeweils eine Glocke mit einzigartiger Geschichte und wurden beide vom selben Architekten entworfen.

Jürgen Bachmann kam vor 150 Jahren, am 16. Mai 1872, in Schleswig-Holstein zur Welt. Nach seiner Lehre zum Zimmermann besuchte er die Baugewerkeschule Eckernförde und begegnete dort Peter Jürgensen, mit dem zusammen er 1903 in Charlottenburg ein Architektenbüro gründete.

Als Schöneberg – damals eine Gemeinde mit eigenem Stadtrecht – ein neues Rathaus plante, setzten Bachmann und sein Kompagnon sich gegen die 83 Entwürfe ihrer Konkurrenten durch. 1914 wurde der Bau fertiggestellt, dessen geplante Einweihungsfeier dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum Opfer fiel.

Nach Ende des Kriegs lösten die beiden Architekten ihre Sozietät zwar auf, aber das bedeutete nicht das Ende ihrer Zusammenarbeit, die sie gelegentlich fortführten, so etwa für das Europäische-Film-Allianz-Atelier in Halensee. Zu Bachmanns Soloprojekten zählt das neue Gemeindehaus in Heiligensee. Aufgrund des Bevölkerungswachstums wurde die alte Dorfkirche zu klein, und die Planung neuer Räumlichkeiten führte zu dem eher unscheinbaren Bau von 1938. Die zwei Glocken aus dem Gemeindesaal wurden zu Kriegszwecken eingeschmolzen. Als Ersatz bekam die Gemeinde 1948 eine kleinere aus den ehemals deutschen Ostgebieten, die auch schon zur Metallverwertung eingezogen worden war, dann aber glücklicherweise gerade noch der Zerstörung entkam. Die Vater-Unser-Glocke hat mittlerweile schon gut fünf Jahrhunderte auf dem Buckel, wie die in römischen Ziffern eingravierte Jahreszahl verrät.

Für die im Jahr zuvor nach Matthias Claudius – dem Dichter von „Der Mond ist aufgegangen“ – umbenannte Kirche wurde 1964 ein Glockenturm gebaut, in dem das kleine „Findelkind“ neben zwei größeren neu gegossenen Schwestern seine endgültige Heimat fand. Diesen Anbau entwarf Architekt Wolfgang Pingel. Jürgen Bachmann war bereits am 28. Januar 1951 verstorben, drei Monate nachdem im notdürftig wieder aufgebauten Turm des Rathauses Schöneberg zum ersten Mal die Freiheitsglocke erklang. Dieses Geschenk des in New York gegründeten Nationalkomitees für ein Freies Europa wurde in London hergestellt. Ihr Vorbild war die Liberty Bell, deren Läuten am 8. Juli 1776 in Philadelphia zur Feier der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung ertönte. Diese für West-Berlin so bedeutungsvolle Übergabe war wohl mit ein Grund für die eilige Restaurierung des Rathausturms, der deshalb um elf Meter kürzer ausfiel als der Vorkriegsbau.

Das Läuten der Freiheitsglocke erklang jeden Sonntag zur Mittagsstunde im Radiosender RIAS, und auch der Nachfolger Deutschlandradio Kultur führt bis heute diese Tradition fort. Sie ist die größte profane – also nicht-kirchliche – Glocke der Stadt, wird aber ebenso wie jene in der Matthias-Claudius-Kirche auch am Heiligabend erschallen.bod

Fotos (2): bod

Jürgen Bachmann entwarf das Rathaus Schöneberg.

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