
Tegel – Der Flughafensee wird gehasst und geliebt zugleich. Denn einerseits ist er Ziel von Tausenden von Menschen, die kostenlosen Strand- und Badespaß genießen wollen, die aber teils sehr unangenehm auffallen, etwa durch laute Musik, Pöbeleien und viel Müll. Einsätze von Polizei und Ordnungsamt sind an der Tagesordnung. Auf der anderen Seite ist dieses einst künstlich angelegte Seegebiet zum Lebensraum für seltene Tier- und Pflanzenarten geworden. Als Vogelschutzreservat ist ein Großteil der Fläche am See für Besucher gesperrt. Dadurch können sich hier Tierarten entfalten, die sonst kaum eine Chance in Deutschland haben.
Ortstermin mit Frank Sieste, Leiter der Arbeitsgemeinschaft Vogelschutzreservat des NABU Berlin. Beim Blick auf das tiefblaue Wasser kann man sich kaum vorstellen, welch abwechslungsreiche Vergangenheit dieses Fleckchen Erde hatte und welchen Veränderungen es in den vergangenen rund 150 Jahren ausgesetzt war.
Damals gab es noch keine Grube und erst recht keinen See. Das gesamte Areal war eine große ebene bewaldetete Fläche. „Das gesamte Gebiet wurde freigelegt, die Jungfernheide gerodet und als Artillerieschießplatz von der kaiserlichen Armee genutzt“, erklärt Sieste. „In Richtung Bernauer Straße sind im Wald sogar noch breite Gräben erkennbar – die alten Schießbahnen“, fügt er hinzu. Später richtete die Wehrmacht auf dem ehemaligen Artillerieschießplatz ein Raketentestgelände ein.
Nach dem 2. Weltkrieg kamen die Franzosen. „Sie haben hier innerhalb weniger Monate den Flughafen Tegel hochgezogen“, weiß er. Und dabei mussten sie das Gebiet noch nicht einmal räumen, denn alles lag frei.
Der See wurde von Menschenhand gemacht und entstand aus einer Kiesgrube: Seit 1953 bauten hier im Waldgelände die „Märkischen Kies- und Sandwerke“ Kies und Sand für die West-Berliner Bauwirtschaft ab. Auch für den Bau der Autobahn, des Flughafens und der Hochhaussiedlung Märkisches Viertel wurde das Material genutzt. Die Grube dehnte sich immer weiter aus und füllte sich mit Grundwasser. 1978 wurde der Abbau eingestellt, 1983 übergab das Land Berlin den 33,7 Hektar großen See dem Bezirksamt Reinickendorf, das einen Teil der Nordseite durch Abflachung des Steilufers zur Badestelle herrichtete. Der südwestliche Bereich wurde als eingezäuntes Vogelschutzgebiet unter die Aufsicht des NABU gestellt.
Und der See kann mit einigen Superlativen aufwarten: Mit einer maximalen Wassertiefe von rund 34 Metern ist der Flughafensee das mit Abstand tiefste stehende Gewässer Berlins. In ihm enthalten: ein Wasservolumen von 3,6 Millionen Kubikmetern. Rund die Hälfte des Gebietes, nämlich 26 Hektar, dient heute als Vogelschutzreservat. Seltene Tier- und Pflanzenarten haben einen Rückzugsort gefunden. Es gibt sogar Pläne, die Schutzzone nach der nun erfolgten Schließung des Flughafens Tegel auszudehnen. Teile des Flughafenareals und ein angrenzendes Waldstück sollen zum Vogelschutzreservat hinzukommen und zur „Tegeler Stadtheide“ werden.
Seit einigen Jahren hilft eine Herde Schafe, die Heideflächen und Trockenrasengebiete an Land vor komplettem Zuwuchs zu schützen. In den Sommermonaten lässt Schäfer Björn Hagge vom Landschaftspflegeverein Hahneberg seine Schafe hier weiden. 40 Tiere sind es in diesem Jahr.
In diesem Jahr gab es zudem eine Sensation: Der Wiedehopf, der in Berlin als nahezu ausgestorben galt, hat sich hier niedergelassen um zu brüten. Zwei Pärchen haben insgesamt neun Jungvögel ausgebrütet. „Wir hoffen, dass der ,Vogel des Jahres 2022‘ sich hier dauerhaft ansiedelt“, sagt Sieste. fle
