
Schulzeit in Reinickendorf? Die Einschulungs-Tüte sollte sich im Laufe der Jahre noch als unkalkulierbare Wundertüte erweisen. Dabei ging der „Ernst des Lebens“ anno 1959 auf der alten Peter-Witte-Schule für uns „Abc-Schützen“ sachte los. Nach anderthalb Jahren Umzug hernach Wechsel auf die achte Grundschule mit liebenswürdigen Lehrern in der zweiten Klasse: Ab der dritten Klasse wurde es ungemütlicher: Ein neuer Klassenlehrer, der oft das Wort „demokratisch“ in den Mund nahm, aber gern von seinen Panzer-Abenteuern schwadronierte. Mit von der Partie ein gefühlt sadistischer Sport- und Rechenpauker. Trost-Engel über allen eine großartige Musiklehrerin, die in mir die Sangeslust wachgerufen hat – deren Repertoire in aller Unschuld aber auch Landsknecht-Lieder enthielt. Wobei die Hälfte des Liedguts ohnehin heutigen Cancel-Culture-Kriterien zum Opfer gefallen wäre.
Schließlich Wechsel auf die Oberschule: Ich hatte vom Panzer-Prinzipal zwar keine Gymnasial-Empfehlung bekommen, wollte aber unbedingt und kam auch dorthin. Ein während der Nazizeit emigrierter Schulleiter, eine engagierte Bio-Lehrerin die mich mit Bob-Dylan-LPs erstversorgte, fair-redliche Deutsch- und Lateinlehrer. Nicht zu vergessen: ein britischer Austausch-Referendar, der dem halbwegs liberalen Direktor seine „English-Club-Postille“ zwar zur Zensur vorlegte, diese dann aber samt handschriftlicher Streichungen im Faksimile abdruckte. Er blieb nicht lange, hatte jedoch meine Lust am keckfrechen Widerstand erweckt.
Merkwürdige Lehrkräfte
Dann ging der halbwegs liberale Direx in Pension. Sein Nachfolger, ein schwer traumatisierter Russland-Straflager-Heimkehrer übernahm. Im Laufe der Zeit tauchten jetzt merkwürdige Lehrkräfte auf: Ein Südafrika-Import stellte beim Dia-Abend das Apartheid-Leben mit seinen viergeteilten Klo-Zugängen unkritisch vor und schlug einen homosexuellen Schüler vor der Klasse. Very special auch ein Lehrfräulein, das gern Geschichten aus Kadetten-Anstalten vorlas. Diese Lehrkraft muss ebenfalls eine sadistische Ader gehabt haben: Wenn ich in ihrem drögen Englisch-Unterricht am Einnicken war, schreckte sie mich mit Fiesfragen auf. Meine Gegenstrategie: Wenn ich etwas wusste, stellte ich mich dösend und gab zur Gaudi der Klasse hellwache Antworten. Selbiges inspirierte auch meine frühpublizistischen Aktivitäten, bei denen ich erste nicht Lor-, sondern Stachel-Beeren erntete.
Immerhin: Gerade die Problemlehrer boten Reibeflächen und Zündfunken für mein pubertär-politisches Engagement. Ungeklärt blieb bei allem Verständnis für den Nachkriegs-Mangel an qualifizierten Lehrkräften indes die Frage, ob damalige Stellen-Ausschreibungen die Klausel enthielten „Sadisten bei gleicher Qualifikation bevorzugt“. Conny Chronowitz