
Reinickendorf – Endlich nach viereinhalb Jahren Flüchtlings-Einquartierung in der Pannwitzstraße war sie gegen 1958 meinen Eltern per wohnungsamtlicher Zuteilung zugesagt worden: eine Zweizimmer-Sozialwohnung mit Bad, Balkon, Dusche sowie Einbauküche mit Kühlschrank – eine wichtige Vorankomm-Etappe für ex-DDR-Flüchtlinge.
Noch existierte das zugesprochene Domizil nur auf dem Papier: Das umliegende Areal inmitten von Friedhofsflächen, Laubenpieperkolonien und Kienhorstpark war absolut unerschlossen. Bei der Erstbesichtigung des Rohbaus fuhr noch die Straßenbahn auf dem Seitenstreifen der Humboldtstraße; Jahre später dann der 61er Bus. Nicht mal die künftige Straße besaß einen Namen – kein Wunder, sie war noch nicht vorhanden – solange galt als immerhin provisorischer Name „Straße 393“. Zwei, drei Jahre später wurde sie offiziell als Klamannstraße benannt, nach dem Gutsbesitzer Friedrich Ferdinand Klamann, Bruder des Königlichen Oberförsters August Philipp Klamann. Doch nun zur Wohnung selbst: Die bemaß sich auf rund 60 Quadratmeter und bot trotz Parterre-Lage wegen großzügiger Rasenflächen zwischen den Blöcken reichlich Wohnzimmer-Licht. Der Umzug aus der Pannwitzstraße erfolgte kostengünstig mit einem Dreirad-Laster. Ich erinnere mich, wie wir eines Nachmittags eine Zusatzfuhre per Bollerwagen von der Pannwitz- in die Klamannstraße gerollt haben. „Gerollt“ war indes für die letzten hundert Meter nicht zutreffend; denn eine glatte Straße existierte seinerzeit noch lange nicht. Das benachbarte Paracelsus-Bad wurde gerade erst gebaut.
Dafür die ersten Jahre werktäglich volle Kanne Baustellen-Sounds: Das Brummquietschen der Planierraupen, das beständige Tuckern irgendwelcher Aggregate, das Klapperdrehn der Mischmaschinen, das Gekreische der Kreissägen. Beherrschende Düfte seinerzeit: feuchter Zement-Mörtel, Diesel, Petroleum und zur späteren Aussaat der Rasenflächen Kuhdung.
Vor allem aber gab es mit Klaus und Detlef endlich andere Kinder im Haus – notwendige Ergänzung und Herausforderung für mich Einzelkind aus der kinderarmen Pannwitzstraße. Nicht ungefährlich und ein Kapitel für sich stellte das Spielen auf Baustellen dar. „Eltern haften für ihre Kinder“ stand mit schwarzer Schrift auf knallgelben Schildern, aber getreu dem Biermann-Motto „Was verboten ist, das macht uns gerade scharf“, hielt sich keiner dran. Aushubhügel-Hütten aus rumliegenden Brettern bauen war noch vergleichsweise harmlos – Einkriege-Zeck im Rohbau mit offenen Fahrstuhlschächten eher nicht.
Zum Glück war dafür nicht den ganzen Tag Zeit. Der neue Schulweg führte jetzt in die achte Grundschule an der Auguste-Viktoria-Allee – später in den danebenliegenden Hort in der Ollenhauerstraße.
In dieser Klamannstraßen-Wohnung habe ich nun von 1959 bis Ende 1972 verbracht – von der Grundschulzeit zum heimlichen Probierjoint – bis ich dann für 73 Mark Monatsmiete in die eigene Einzimmer-Altbauwohnung zog. Aber diese lag nicht mehr in Reinickendorf …
Conny Chronowitz