
Die heimatlosen Glocken aus Stahl, die mitten auf dem Dankesfriedhof in der Blankestraße 12 zu bewundern sind, hingen einst in der Votivkirche am Weddingplatz, zu deren Einweihung 1884 ihr Gießer Carl Hoppe sie gestiftet hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist das Gotteshaus leider nur als kompletter Neubau wiederauferstanden, und für die alten Glocken gab es keine Verwendung mehr, vom neuen Turm läuten seit 1970 die Nachfolger aus Bronze.
Wofür der im Friedhofsnamen enthaltene Dank an Gott einst galt, dürften heute nicht mehr viele wissen: Nachdem Wilhelm I. insgesamt fünf Attentate überlebt hatte, wurden im ganzen Land verschiedenartige Denkmäler errichtet. Beim ersten Attentat, das 1841 auf ihn verübt wurde, war Wilhelm noch Prinz, während sein älterer Bruder bereits auf dem Thron saß. Der zweite Anschlag 1861 galt ihm als König von Preußen. Als Motiv gab der Täter zu Protokoll, der Souverän trete nicht entschieden genug für die Einigung des Deutschen Reiches ein. Nach der Reichsgründung 1871 wurde Wilhelm als Kaiser im wahrsten Sinne des Wortes zur Zielscheibe seiner radikalsten Gegner.
Im Mai 1878 feuerte ein Klempnergeselle zwei Schüsse auf den Monarchen ab, die aber nicht trafen. Diesen missglückten Mordversuch nutzte Reichskanzler Otto von Bismarck zum Verbot der Sozialistischen Arbeiterpartei, aus welcher der Täter zuvor allerdings ausgeschlossen worden war. Er wurde zum Tode verurteilt und enthauptet. Als der Kaiser nur wenige Wochen später bei einer Kutschfahrt der Prachtsraße Unter den Linden entlang aus einem Fenster heraus angeschossen wurde, rettete ihm wohl die Pickelhaube das Leben. Der Monarch wurde allerdings schwer verletzt. Der Überrock mit den Einschusslöchern ist heute noch im Deutschen Historischen Museum zu bestaunen.
Der fünfte und letzte Anschlag galt vermutlich nicht dem Herrscher allein, denn auch der Kronprinz und andere Mitglieder der preußischen Elite, gegen die die Anarchistengruppe agitierte, waren bei der Einweihung des Denkmals zur „Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches“ in Rüdesheim zugegen. Das schlechte Wetter bewahrte die geladenen Gäste vor der Katastrophe, da es so feucht war, dass der Zünder das Dynamit nicht zur Explosion brachte.
Seine getreuen Untertanen mögen aus Wilhelms Langlebigkeit geschlossen haben, er sei wahrhaftig ein Herrscher von Gottes Gnaden. Jedenfalls ist die Dankeskirche eines jener Bauwerke, mit dem der kaiserlichen Genesung gehuldigt werden sollte. Vor 140 Jahren wurde 1882 mit dem Bau der Kirche begonnen, die keine zwei Jahre später in Anwesenheit des Kaisers eingeweiht werden konnte – begleitet vom „einmüthigen Dankesgefühl, welches überall im deutschen Vaterlande nach der gnädigen Errettung und glücklichen Genesung des Monarchen die Herzen erfüllte.“
Der Architekt August Orth hat auch die Zionskirche, die Gethsemanekirche und den nicht mehr existierenden Görlitzer Bahnhof entworfen. Durch seine umfangreichen Planungen für verschiedene Eisenbahngesellschaften gilt er als einer der Vordenker für die heutige Berliner Ringbahn. Wilhelm I. starb 1888 eines natürlichen Todes im stolzen Alter von neunzig Jahren. Auch die Stahlglocken aus der Dankeskirche haben vermutlich damals für den Verblichenen geläutet
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Die Glocken auf dem Dankesfriedhof Foto: bod