
Was viele nicht wissen: Jugendweihe gab‘s nicht nur im Osten. Auch im Berliner Westen folgten gar nicht so wenige dieser freidenkerisch-humanistischen Tradition. Hochzeit hatte sie in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Zu Nazi-Zeiten war sie verboten und in der DDR wurde sie staatlich verordnet.
Fast jeder der dort Großgewordenen erinnert sich gern an seine Feier sowie ans obligatorisch überreichte Buch „Weltall, Erde, Mensch“, welches als das am weitesten verbreitete Druckwerk der DDR gilt. Hübscher Brauch drüben: Zu Beginn der Feierstunde wurden die zu Weihenden noch geduzt, danach gesiezt. In Westberlin lief alles etwas schlichter.
Mainstream im Westen war ohnehin unbestritten der evangelische Konfirmanden-Unterricht, „Konfer“ genannt. Ziel dieser Einweihungen in allen Weltkulturen: Abschied von der Kindheit und Aufnahme in die Gemeinde als Heranwachsender. Konfer kam für mich nicht in Frage, da ich als Sechsjähriger im Sinne meines Hardcore-atheistischen Vaters von meiner mäßig christlichen Mutter bereits nach einer Woche aus dem Religionsunterricht genommen wurde, weil ich es gewagt hatte, eine Abbildung von Adam und Eva in 50er Jahre-Klamotten anzuzweifeln. Fortan genoss ich, wenn andere „Rille“ hatten, regelmäßig Freistunden.
Aber wollte man als kleiner „Heide“ leer ausgehen, während andere bei ihrer christlichen Konfirmationsfeier ihren Heidenspaß hatten? Und natürlich ging es auch um Geschenke.
Da war auch ich empfänglich für alternative Weih-Rituale. Die Werbezettel klebten in U-Bahnhöfen auf A4 breiten „Jugendweihe“ Plakätchen – nebst Telefonnummer vom Deutschen Freidenkerverband. Die Unterweisungen dazu fanden für mich als Klamannsträßler ein gefühltes halbes Jahr im Jugendheim Fuchsbau statt.
Unsere Weihlings-Gruppe hatte an die zwölf Teilnehmer und unser Unterweiser führte uns in freidenkerische Basics ein: etwas Evolution nach Darwin, ein bisschen Sexualaufklärung, Demokratie-Verständnis, Friedensbereitschaft, Toleranz, ein bisschen Sympathie für Israel. Auf keinen Fall vergleichbar mit aufwändigen Konfirmanden-Stunden, geschweige denn deren manchmal Reisen. Und selbstredend von Spiritualität null Spur.
Schließlich die dann doch überraschend weihevolle Feier in der Philharmonie. Ich war vorher noch nie im „Zirkus Karajani“ und ich glaube, sie haben die „Ode an die Freude“ gespielt. Mein DDR-Opa kam zu Besuch und mein Vater hatte sich extra einen hellblauen Ford Taunus 12 M gemietet. Als Geschenk gab‘s einen zehn Kilo schweren Grundig Tonbandkoffer „TK 23“ mit Magnetband-Spulen, magischem Auge, aber immerhin schon Aussteuerungsautomatik. Das beste Geschenk war sicherlich der schlichte Baustein für Humanismus sowie Nicht-Angepasstheit. Und ich durfte mich fortan als Heranwachsender zählen. Hört sich doch besser an als „Halbstarker“.
Conny Chronowitz