
Über einen angemessenen Umgang mit dem schwierigen Andenken an Alfred Graf von Waldersee wird in Hamburg, wo er Ehrenbürger ist, und in Hannover wegen der Walderseestraße intensiv debattiert. In Reinickendorf gibt es ebenfalls eine Straße, die nach dem Generalfeldmarschall des Kaiserreichs benannt ist.
Der erzkonservative Adlige mit extrem antisemitischem Weltbild wollte – allerdings vergeblich – die konservativen Kräfte gegen die SPD einen, denn die Partei war für ihn ein Feind der Nation. Von Wilhelm II. wurde er nach China entsandt, als es dort zu Unruhen kam. Formal war das Reich der Mitte zwar keine Kolonie (mit Ausnahme von Hong Kong und Macau), denn die Verwaltung und Politik blieb in den Händen der Chinesen; aber durch ihre militärische Präsenz setzten die ausländischen Mächte, unter anderem Großbritannien und Frankreich, jahrzehntelang erbarmungslos eigne wirtschaftliche Interessen durch.
In China formierte sich Widerstand gegen die Ausbeutung und christliche Missionierung. Eine der Gruppen, die sich in chinesischer Kampfkunst übten, nannte sich „Fäuste der Gerechtigkeit und Harmonie“, was von den Briten in „Boxer“ übersetzt wurde. 1900 war die Bewegung so mächtig geworden, dass sie einen Großangriff wagte und die chinesischen Truppen sich an ihre Seite stellten unter Führung der Regentin, Kaiserinwitwe Cixi.
Zahlreiche christliche Chinesen und Besatzer fielen den Attacken zum Opfer, darunter auch der deutsche Gesandte Freiherr Clemens von Ketteler. Daraufhin setzte der deutsche Kaiser Graf Waldersee als Leiter des Gegenangriffs der Besatzer durch. Weitere sieben Nationen – die USA, Russland, Japan, Großbritannien, Frankreich, Österreich-Ungarn und Italien – beteiligten sich an der „Strafexpedition“, die offiziell nie als Krieg bezeichnet wurde.
Die berüchtigte Hunnenrede, mit der Wilhelm II. in Bremerhaven die Flotte beim Aufbruch zur Niederschlagung des Boxeraufstandes verabschiedete, wirkt bis heute nach. In England wird der Begriff „huns“ noch immer abfällig für die rohen Deutschen verwendet. Der Kaiser kannte in seiner Rede kein Pardon und forderte die Soldaten auf, so gnadenlos wie „vor tausend Jahren die Hunnen“ gegen den Feind vorzugehen: „So möge der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, daß es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen.“
Zwar hatte sich Wilhelm II. mit seiner scharfen Kriegsrhetorik besonders hervorgetan, doch gingen die anderen Nationen nicht minder brutal gegen die „Boxer“ vor. Auch Frauen und Kinder wurden nicht verschont. Der Militäreinsatz stand damals schon in der deutschen Öffentlichkeit in der Kritik. Sozialdemokrat August Bebel geißelte ihn als „so barbarisch, wie er niemals in den letzten Jahrhunderten und nicht oft in der Geschichte vorgekommen ist.“
Dennoch erhielt Waldersee viele Ehrungen auch aus dem Ausland. So zeichnete ihn Frankreich als Offizier der Ehrenlegion aus, und vom Papst erhielt der Protestant den Piusorden. Für soviel Ruhm wurde er in der Heimat als „Weltmarschall“ bespöttelt.
Vor rund 20 Jahren wurde die Umbenennung der Walderseestraße in Reinickendorf abgelehnt, allerdings wird in letzter Zeit wieder verstärkt über das heikle Kolonialerbe diskutiert.
bod