Dienstag, 26. September 2023
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Natureis für den Bierdurst der Berliner

Natureis für den Bierdurst der Berliner

Weniger als hundert Meter westlich des U-Bahnhofes Franz-Neumann-Platz liegt der Schäfersee. In letzter Zeit ist der Schäfersee in die Schlagzeilen geraten. Das Gewässer ist in einem kritischen Zustand. Die Wasserqualität ist schlecht und gefährdet alle Lebenswesen, die sich dort am, im und unter dem Wasser tummeln. 

Was heute kaum mehr vorstellbar ist: 1895 öffnete am Schäfersee eine Badeanstalt, sie ist längst geschlossen. Die stark fortgeschrittene Industrialisierung hatte Jahre später die Badenden wieder vertrieben. Während für das Strandbad Tegel Hoffnung besteht, dass sich die Tore wieder öffnen (siehe Titelthema), ist es sehr unwahrscheinlich, dass dies am Schäfersee passieren wird. Aber das ist ja auch gar nicht Ziel. Priorität bei der Rettung des Schäfersees ist, ihn von seinem Dreck zu befreien. Die ersten Probleme für den Reinickendorfer See, so hieß der See bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, kamen, als die Stadt immer näher heranrückte. Mitte des 19.Jahrhunderts wuchs Berlin. Mit den neuerbauten Häusern und den mehr und mehr hinzuziehenden Menschen entstanden auch Fabriken, Schlachthäuser, Molkereien, Lokale und Kneipen. Die Gaststätten wollten mit Bier beliefert werden. 

Eis für die Brauereien

Auch damals war der Bierdurst groß: Um 1850 gab es in Berlin rund 80 Brauereien. Und für die Bierproduktion wurde Eis benötigt: Brauereien verwendeten das Eis für die Kühlung der Bier-würze, für die Gärbottiche und für die Brauereikeller. Hermann Eduard Mudrack war ein cleverer Geschäftsmann und gründete daher 1856 am Schäfersee eine Produktionsstätte von Stangeneis. Bereits um 1840 wurden nordwestlich des Schäfersees an der Ecke Genfer Straße die Eiswerke Louis Thater errichtet. Wann der Eishandel dort genau aufgenommen wurde, ist nicht ganz geklärt Das Gleiche gilt für die Einstellung des Betriebes. Die Datenlage der Firma Mudrack ist gesicherter: 1856 wurde der Betrieb zur Gewinnung von Natureis aufgenommen und 1911 eingestellt. 

Das Natureis wurde aus dem gefrorenen See gewonnen. Das Eis wurde geschnitten und als sogenanntes Stangeneis in Holzschuppen – die mit Torf isoliert waren – transportiert und dort bis zum Sommer gelagert. Das Eis wurde anfangs mit Sägen und Brechstangen aus dem See gewonnen. Später kerbten von Pferden gezogene Schneepflüge Schachbrettmuster in die Eisfläche, die dann mit Sägemaschinen zerteilt wurde. Die Eisblöcke wurden auf Förderbändern in die Lagerhallen gebracht. Die Wasserversorgung des Schäfersees reichte nicht aus, daher wurden nördlich des Schäfersees weitere fünf Solebecken angelegt.

1911 war Schluss mit dem so gewonnen Eis. Die Zeitschrift „Kälte-Industrie“ berichtete 1931: „[…] Im Jahre 1911, vor also 20 Jahren, stellten die Mudrackschen Eiswerke durch die Initiative des Herrn Wilhelm Rohrbeck die Natureisgewinnung ein und eröffneten die nach Rohrbecks Plänen und unter seiner Leitung erbaute heutige Eisfabrik für etwa 3.500 Zentner Kunsteis Tagesleistung, die im Jahre 1924 auf etwa 6.000 Zentner erweitert wurde. Gleichzeitig gliederte Herr W. Rohrbeck ein Kühlhaus von etwa 2.500 Quadratmeter Bodenfläche seiner Eisfabrik an. […]“

Die Mudracksche Kunst-
eisfabrik lag an der Thaterstraße 21. An der Baseler Straße entstanden für Betriebsangehörige Werkswohnungen mit Eisbären als Bauschmuck sowie einer Bärengruppe aus Stein am Eisbärenweg. Die Fabrikanlage wurde 1970 abgerissen, und auf dem Gelände entstand ein Wohnblock.

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